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NICOLE SCHÄFER BLOG

Wenn Familiensysteme in Bewegung geraten

Wir sprechen in der Herkunftsfamilie von einem Familiensystem. Dazu gehören die direkten Familienmitglieder und deren Nachkommen unsere Ahnen.

Ich sehe in meinen Beratungen und Supervisionen sowie in der Arbeit mit Familienaufstellungen, dass wir mit anderen und mit unserer Vergangenheit viel mehr verbunden sind, als wir uns dessen bewusst sind.

 

Gerne arbeite ich mit dem Bild eines Mobiles, um mit meinen Klienten und ihrem System zu arbeiten. Jedes einzelne Familienmitglied des Systems ist eine Figur des Mobiles, das an einem der Streben hängt. Wird eine der Figuren bewegt, abgeschnitten oder eine neue Figur dazugehängt, bewegt sich das gesamte System.

Das erlebe ich immer wieder in meiner Arbeit. Deshalb erfasse ich zu Beginn eines jeden Erstgespräches das Familiensystem in einem ausführlichen Vorgespräch und visualisiere es für uns in Form eines Mobiles.

Es ist wichtig, während der Arbeit das gesamte System im Blick zu behalten und zu berücksichtigen, wer mit wem wie verbunden ist.

 

Mit diesem Erfahrungsbericht aus meiner Praxis möchte ich verdeutlichen, was passieren kann, wenn so ein Familiensystem einmal in Bewegung geraten ist.

 

In meine Praxis kam eine Frau mittleren Alters. Ich nenne sie Jutta. Sie wurde als Baby im Alter von drei Monaten adoptiert und hatte ihre leiblichen Eltern nie gesehen. Jutta wusste von Anfang an, dass ihre Adoptiveltern nicht ihre leiblichen Eltern waren.

Die Adoptiveltern hatten eine sehr gute Beziehung zu Jutta aufgebaut, sie waren ihr gegenüber immer ehrlich und korrekt. Sie hatten sie auch nie überfordert mit ihrer Liebe. Sie konnten sich immer wieder gut abgrenzen, sodass eine harmonische und liebevolle Beziehung zu Jutta aufgebaut werden konnte.

Als Jutta in die Pubertät kam, begann für sie eine lange Reise zu sich selbst.

Im Vorgespräch erzählte mir Jutta von ihren ständig wechselnden Beziehungen, von dem Gefühl, nie angekommen zu sein. Sie fühle sich immer alleine. Auch hatte sie das Gefühl, nie in der Familie angekommen zu sein, obwohl ihre Adoptiveltern alles dafür tun und sehr lieb zu ihr seien. Sie fühle sich dann oft sehr schuldig, sie wolle ja auch Liebe empfinden. Gerade das ständige Gezanke mit ihrer Adoptivmama belaste sie sehr. Sie habe das Gefühl, dass ihre Adoptivmama sie nicht loslässt. Immer wieder werde sie von ihr bevormundet. 

 

Auf die Frage, wie sie sich denn fühle mit ihrer Herkunft, wurde sie sofort sehr wütend und erklärte mir, dass sie zwar im Kongo geboren sei, aber ansonsten nichts damit zu tun habe. Sie hatte nie daran gedacht in das Land zu reisen, um dort nach ihren Wurzeln zu suchen. Das käme für sie überhaupt nicht in Frage. Sie müsse schon genug leiden, weil sie ja anders war als die anderen.

 

Meine Arbeit begann, als Jutta sich darauf einlassen konnte, über ihre leiblichen Eltern und deren Herkunft zu reden. Ihre Mama hatte sie zur Adoption freigegeben, weil sie schon acht weitere Kinder hatte und nicht noch für Jutta sorgen konnte. Juttas Vater war leider unbekannt.

 

Die Sehnsucht nach ihren afrikanischen Wurzeln wächst.

Zur nächsten Sitzung brachte sie Bilder ihrer Mama und ihrer leiblichen Geschwister mit. Sie hatte großes Glück, dass die Adoptivfamilie einen losen Kontakt zur Herkunftsfamilie hielt.

Es dauerte eine Weile, bis Jutta sich in Gedanken auf ihre leiblichen Eltern einlassen konnte. In Gesprächen fiel mir jedoch auf, dass Jutta sehr viel weicher wurde und sich emotional gut darauf einlassen konnte. Einen persönlichen Kontakt wollte sie nicht.

 

In der folgenden Sitzung, stellten wir nun Jutta, ihr Geburtsland Afrika sowie Deutschland ­– das Land in dem sie aufwuchs –  auf. Schnell wurde klar, dass das Land Afrika zu ihr gehörte und dass sie eine von ihnen war. Sie gehörte in diese Sippe, zu diesem Volk.

Als Jutta den Satz „Ich bin eine von euch, ich bin Teil eures Volkes“ aussprechen konnte, kam über Jutta einen große emotionale Gefühlswelle.

 

Als die Erfüllung der Sehnsucht endlich angenommen wurde, kam Bewegung ins System.

Als Jutta nach dieser Aufstellung völlig frei und glückselig nach Hause kam, sagte ihre Adoptivmama beim Abendessen: „Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir nach einer Wohnung für dich schauen. Du kannst ja nicht ewig hier wohnen bleiben.“ Jutta war völlig perplex, weil genau dieses Thema am Abend zuvor noch völlig unvorstellbar gewesen war.

Und es passierte noch etwas: Tage später wurde Jutta über Facebook von ihrer leiblichen Schwester angeschrieben ­– sie hätte gerne Kontakt zu Jutta.

Jutta geht es heute sehr gut. Sie ist angekommen in ihrem Leben, hat eine liebevolle Partnerschaft, und wenn man sie fragt, wo ihre Wurzeln sind, antwortet sie: „Bei meinen Eltern in Afrika.“

Um das Bild des Mobiles noch einmal aufzugreifen: Jutta erlebte, wie ihr Mobile sich neu zusammengefunden hatte.

 

                   Nicht immer finden Familiensysteme ohne Weiteres in die Balance zurück.

                                                                                                     Gerne unterstütze ich dich auf deinem Weg in deine Balance.